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Nach Thymian Bussemer ist Propaganda „eine besondere Form der systematisch geplanten Massenkommunikation, die nicht informieren oder argumentieren, sondern überreden oder überzeugen möchte“. Das soll in der Regel durch Verwendung einer „symbolisch aufgeladenen und ideologiegeprägten (Bild-)Sprache“ geschehen, mittels der die Wirklichkeit stark verzerrt wird, weil sie Informationen entweder falsch vermittelt oder gleich ganz unterschlägt. Das Ziel von Propaganda ist es laut Bussemer, „bei den Empfängern eine bestimmte Wahrnehmung von Ereignissen oder Meinungen auszulösen, nach der neue Informationen und Sachverhalte in den Kontext einer ideologiegeladenen Weltsicht eingebettet“ würden. Durch solche Bemühungen und – noch näher zu skizzierende - flankierende Maßnahmen wird ein spezifischer, den jeweiligen Propagandisten genehmer „Wahrnehmungsraum“ geschaffen, in dem die Empfänger von Propaganda die durch sie vermittelten Informationen dann einordnen oder bewerten können. Auf diese Art und Weise werden sie durch Propaganda langfristig manipuliert, wobei deren Verbreitung durch die unterschiedlichsten Kommunikationstypen erfolgt.[1]
Gerade hierin sieht Daniel Mühlenfeld ein gravierendes methodisches und letztlich auch inhaltliches Problem, weil der Begriff „Propaganda“ nach seinem Dafürhalten in vielen Untersuchungen unreflektiert verwendet würde, „indem sie ihn als Quellen- und Analysebegriff zugleich verwenden“. So gilt etwa eine die NS-Ideologie bejahender Zeitungsartikel, also eine „klassische“ historische Quelle, als „Propaganda“, die es dann wieder unter Zugrundelegung der Definition von NS-Propaganda zu analysieren gilt. Um die aus einer solchen Konstellation zwangsläufig erwachsenden inhaltlichen und terminologischen Unklarheiten von Beginn an zu vermeiden, möchte Mühlenfeld den Begriff „Propaganda“ als analytischen Begriff daher „gänzlich aus dem Vokabular der Geschichtswissenschaft zu verbannen“ und schlägt stattdessen den Terminus der „Medien- oder Kommunikationspolitik“ vor.
Daraus ergibt sich für ihn folgendes Analysemodell: „Kommunikation als prozesshafte Handlung setzt sich, schematisch vereinfacht dargestellt, zusammen aus Kommunikator und Rezipient, aus Intention und Wirkung der Botschaft sowie aus der Art und Weise ihrer materiellen Beschaffenheit beziehungsweise ihrer medialen Darreichungsform und deren räumlicher Verbreitung. Rückübertragen auf den Begriff der ‚Propaganda‘ heißt das, eine wissenschaftliche Untersuchung, die sich ‚der NS-Propaganda‘ widmet, greift jeweils einen der benannten Aspekte des Kommunikationsprozesses heraus und nimmt diesen zum Gegenstand: Welche Personen haben gehandelt? Welche Botschaften wurden kommuniziert? Auf welchem Wege wurden sie kommuniziert? Welche Verbreitung hat ein Medium überhaupt erfahren? Welche Erkenntnisse ergeben sich daraus für die Frage nach dem Verbreitungsgrad der transportierten Botschaft?“ [2]
Fußnoten:
[1] Nach Bussemer, Propaganda, S. 1f.
[2] Mühlenfeld, NS-Propaganda, S. 528
Stand der Quelle: 02.11.2024
https://jugend1918-1945.de/portal/Jugend/info.aspx?bereich=projekt&root=21274&id=22976&redir
Solche und weitere Erwägungen lassen Peter Longerich von einem „geschlossenen System“ sprechen, das er noch über dem „System der Propaganda“ angesiedelt sieht und entsprechend als ein übergeordnetes „System der Kontrolle der Öffentlichkeit“ bezeichnet. Dieses das gesamte Leben während der NS-Zeit massiv beeinflussende „geschlossene System“ sieht Longerich besonders durch drei Elemente gekennzeichnet:[1]
1. Anderslautende Stimmen wurden grundsätzlich nicht geduldet, wobei Propagandaminister Joseph Goebbels oftmals persönlich dafür sorgte, dass selbst systemloyale Kritik nicht mehr geäußert werden wurde. Außerdem setzte er alles daran, das geschlossene System tatsächlich undurchlässig zu machen, weshalb etwa auch ausländische Filme zensiert und der Vertrieb ausländischer Zeitungen im Reichsgebiet reglementiert wurden. Das erste Element der Schaffung eines „geschlossenen Systems“ war also der Versuch, alle alternativen Stimmen auszuschließen.
2. Zum Zweiten ging es den NS-Propagandisten darum, das öffentliche Erscheinungsbild Deutschlands möglichst weitgehend an nationalsozialistische Normen anzupassen. Dafür wurden den Menschen klare Vorgaben an die Hand gegeben, wie sie durch ihr öffentliches (und möglichst auch privates) Verhalten ihre Zustimmung zum Regime zu bekunden hatten. Möglich wurde das dadurch, dass es bereits in den ersten Monaten des NS-Regimes gelungen war, den öffentliche Raum zu beherrschen und ihn in im NS-Sinn umzugestalten, um in ihm dann die angebliche Übereinstimmung von Volk und Führung mit einer breiten Skala möglicher Verhaltensweisen zu demonstrieren. Hierzu zählten schnell selbstverständlich werdende Dinge wie der „Deutsche Gruß“ oder das Tragen von Parteiabzeichen, aber auch das öffentliche Verhalten gegenüber ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen. Ein Blick auf die Jahre zwischen 1933 und 1943 führt in dieser Hinsicht nach Longerich zur Erkenntnis, „dass diese Vorstellung des Regimes, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich in ihrem öffentlichen Verhalten an die Verhaltensnormen des Regimes anzupassen, insgesamt funktioniert“ habe. „Die Menschen haben sich insgesamt so verhalten, wie es sich das Regime erwünschte, und nun war es die Aufgabe der Propaganda, dieses Verhalten als Zustimmung zu dokumentieren.“
3. Das dritte Element des von ihm skizzierten „geschlossenen Systems“ ist für Peter Longerich zugleich das bedeutsamste: „nämlich, dass das geschlossene System den Beweis für sein erfolgreiches Funktionieren zugleich mitlieferte“ und die er so zusammenfasst: „In Form von Bild- und Tonaufnahmen, aber auch in der internen Stimmungsberichterstattung, die immer darauf angelegt war, die positive Resonanz der Propaganda wiederzugeben und die negativen Abweichungen von der Norm als Ausnahmeerscheinungen zu präsentieren.“ Das birgt zugleich aber für den forschenden von heute erhebliche Gefahren, denn man hat sich – auch das noch Folge des „geschlossenen Systems“ der NS-Zeit - daran gewöhnt, „die Bilder, die Töne, die Filme aus dieser Zeit als Beweis für den Erfolg dieser Propaganda zu sehen, und vergessen dabei, dass das genau die Intention der Urheber war.“ Es sind eben in aller Regel Texte, Töne und Bilder, die innerhalb des Propagandaapparates erzeugt worden sind, die unseren Blick oft noch heute verstellen und ihn übersehen lassen, dass es sich nicht um dokumentarischen Bilder oder Dokumente handelt, sondern um den Versuch, genau die regimeseitig intendierte Zustimmung abzubilden. Das gilt auch für die – hier an anderer Stelle differenziert und kritisch untersuchte - Stimmungsberichterstattung der NS-Zeit, die gerade Historiker immer wieder für ihre Analysen heranziehen und dabei nicht selten übersehen, dass sie selbst Teil eines fast perfekten Systems war und daher nicht zuletzt zeigt, wie gut die Propaganda funktionierte. Traten in diesen Stimmungsberichten dennoch negative Erscheinungen zu Tage, wurden sie entweder nachkorrigiert oder eingestellt und die Kritiker und die Unzufriedenen, die darin auftauchten, umgehend zum Schweigen gebracht.
Angesichts solcher Bestrebungen des NS-Regimes gilt es also immer wieder, den Gefahren zu entgehen, die deren umfassenden und zusehends perfektionierten propagandistischen Bemühungen bis heute innewohnen. Denn auch wenn die ein sehr geschlossenes, uniformes Bild zu vermitteln trachteten, weiß man heute nach jahrzehntelanger Forschung zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der NS-Diktatur, dass die damalige Volksstimmung nicht mit totalitärer Uniformität gleichgesetzt werden darf. Tatsächlich gab es in erheblichem Umfang auch allgemeine Unzufriedenheit sowie abweichende und divergierende Verhaltensweisen, allerdings – wie Peter Longerich hervorhebt – mit einer wichtigen Einschränkung: „Doch diese Bekundung von Widerspruch war im Wesentlichen auf den privaten oder auf den halböffentlichen Bereich beschränkt, also auf Stammtische, Nachbarschaften, Freundes- und Kollegenkreise. Sie mochte in Resten von Milieustrukturen aus der Zeit der Demokratie ihren Ausdruck finden, etwa in bestimmten Pfarrgemeinden, in bürgerlichen Verkehrskreisen, in Dorfgemeinschaften, die sich dem Nationalsozialismus gegenüber nicht aufgeschlossen zeigten, oder in den Untergrundgruppen der Arbeiterbewegung, soweit diese noch bestand. Aber dieser Form von Kritik, die in vielfältiger Weise existierte, und die wir heute noch nachweisen können, fehlte ein ganz entscheidendes Kriterium: Sie konnte nicht öffentlich gemacht werden.“
Beim Blick auf die NS-Zeit und die Wirksamkeit der damaligen Propaganda darf nie außer Acht gelassen werden, dass zwischen 1933 und 1945 all jene Kommunikationsformen fehlten, die für die Bildung einer öffentlichen Meinung, wie man sie heute versteht, unabdingbar sind. Es fehlte praktisch über zwölf Jahre die Chance, „sich ungehindert zu vergewissern, dass die eigenen Ansichten von anderen geteilt werden; es fehlte die Möglichkeit, unterschiedliche Meinungsvarianten im Gespräch auf einen Nenner zu bringen; es fehlte die Möglichkeit, solche abweichenden Meinungsvarianten in begrifflichen Abstraktionen, wie in Schlagwörtern und Parolen, zum Ausdruck zu bringen. Das alles, was wir auf einer unteren Ebene als Meinungsbildungsprozess kennen, war in einer kontrollierten Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen.“
Dadurch wurde das NS-Regime in die Lage versetzt, einen Apparat zu schaffen, der es ihm erlaubte, sich in seiner Selbstdarstellung von der jeweiligen tatsächlichen Zustimmung der Bevölkerung relativ unabhängig zu machen. Zugleich hatten die NS-Propagandisten die Möglichkeit, Zustimmung und Enthusiasmus mehr oder weniger nach Bedarf zu erzeugen. Daher ist natürlich das Bild einer geschlossen hinter dem Regime stehenden „Volksgemeinschaft“ ein Trugbild des Propagandaapparates, der nach Longerichs Analyse stets bestrebt war, „die tiefe Fragmentierung der deutschen Gesellschaft in politischer, sozialer, weltanschaulicher, religiöser oder regionaler Hinsicht“ zu überdecken. „Es wäre geradezu irrwitzig, sich vorzustellen, dass diese für das Kaiserreich und die Weimarer Republik in allen Studien kennzeichnende feststellbare Fragmentierung der deutschen Gesellschaft schon nach wenigen Monaten ‚Drittes Reich‘ hätte plötzlich beseitigt werden können.“
Seine Erkenntnisse veranlassen Peter Longerich zu dem Appell, das „geschlossene System der kontrollierten Öffentlichkeit mit den wesentlichen Elementen, also dem Ausschluss von Widerspruch und alternativer Kommunikation, die Beherrschung des öffentlichen Erscheinungsbildes, das Durchsetzen und Erzwingen von bestimmten Verhaltensweisen sowie die multimediale Reproduktion dieser Verhaltensweisen als Zustimmung der Bevölkerung“ stets im Auge zu behalten, „wenn wir uns mit der heutigen Wirkung von NS-Medien und ihrem Umgang in der heutigen Zeit beschäftigen“. Jeder, der zum ersten Mal eine Zeitung der Jahre 1933 bis 1945 lese, sei erstaunt darüber, wie normal der Alltag jener Tage gewesen sei. „Und diese Entdeckung ist das eigentlich Interessante an dieser Lektüre, und hier kann eine Archäologie des Alltags des ‚Dritten Reiches‘ ansetzen. (…) Das heißt, dieses Propagandamedium, also das, was ursprünglich als Propagandamedium gedacht war, lädt zu Entdeckungsreisen ein, die mit den ursprünglichen Intentionen des Urhebers eigentlich wenig zu tun haben.“
Eine solch kritische Analyse der NS-Propaganda oder - in der Terminologie von Daniel Mühlenfeld – der „Medien- oder Kommunikationspolitik“ des NS-Regimes kann helfen, diese in ihren Methoden und Intentionen offenzulegen und in ihrer Wirkung damit zu konterkarieren.
Fußnoten:
[1] Das Folgende nach Longerich, NS-Propaganda, S. 20ff.
Stand der Quelle 02.11.2024
https://jugend1918-1945.de/portal/Jugend/info.aspx?bereich=projekt&root=21274&id=22977&redir
Mit Bezug auf die Beobachtungen, die der amerikanische Historiker und Journalist William L. Shirer am 3. September 1939 in seinem Tagebuch festhielt („keine Begeisterung, kein Hurrageschrei, keine Hochrufe, kein Blumenstreuen, kein Kriegsfieber, keine Kriegshysterie"), bilanziert der britische Historiker Richard J. Evans in seiner umfangreiche Geschichte des Dritten Reichs kurzerhand, es habe im September 1939 in Deutschland „kein Wiederaufleben des legendären Geistes von 1914" gegeben, um daraus den Schluss zu ziehen: „Der Propagandafeldzug mit dem Ziel, die Deutschen mit Hass gegen ihre Feinde zu erfüllen, war gescheitert."[1] War das tatsächlich so? Ist es zulässig, aus einigen wenigen zeitgenössischen Einschätzungen solch weitreichende Schlüsse zu ziehen? Ein anderer Beobachter, der sozialdemokratisch orientierte Justizinspektor Friedrich Kellner, schätzte die Wirkung der NS-Propaganda bei Kriegsbeginn beispielsweise völlig anders ein. „Der Glaube an Wunderdinge", so notierte er am 13. September 1939 in sein Tagebuch, sei „äußerst stark", und zog daraus den Schluss: „Die sechsjährige nationalsozialistische Propaganda hat in der Tat die Hirne des deutschen Volkes vollkommen vernebelt. Unglaublich - aber leider wahr." Mit Blick auf die Reaktionen der Bevölkerung auf die Sudetenkrise hatte er bereits ein Jahr zuvor geäußert: „Das ist dein Werk, Propagandaminister! Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne!"[2]
Angesichts solch widersprechender Beobachtungen und daran anschließender Analysen gilt den vielfältigen Wirkungsweisen von Propaganda bzw. der NS-Medien- und Kommunikationspolitik näher auf den Grund zu gehen. Als entscheidend für eine tatsächliche Aneignung von Propagandainhalten definieren neuere Forschungsansätze die durch Vorwissen und Einstellungen bestimmte Interpretation von Propagandainhalten, deren Erfolg und Misserfolg damit aus einer reinen Ideologiebezogenheit gelöst und stärker in historische Erfahrungskontexte gestellt werden.[3] Die als Folge des Ersten Weltkriegs „verlorenen" Gebiete etwa sind ja kein ideologisches Konstrukt der NS-Propaganda, sondern ein während der gesamten Zeit der Weimarer Republik vielstimmig beklagtes Faktum. Zugleich setzte und setzt sich zunehmend die Tendenz durch, hinsichtlich der Wirkung von Propaganda zudem nach sozialen, konfessionellen, geschlechtsspezifischen und auch regionalen Kriterien zu unterschieden.[4] So veränderten sich laut neueren Forschungsergebnisse beispielsweise in ländlichen Milieus die Verhaltensweisen nachweislich nicht so rasch wie man das etwa für indoktrinierte und emotional mobilisierte Jugendliche annehmen muss, die wohl nicht zuletzt deshalb ein so beliebtes wie dankbares Ziel der NS-Propaganda waren.
Natürlich gilt es die jeweilige Vermittlung - salopp gesagt die „Verpackung" - von Propaganda genauer zu analysieren. Propagandaminister Goebbels brachte sein in dieser Hinsicht verfolgtes medienpolitisches Grundkonzept am 5. März 1937 auf den Punkt: „In dem Augenblick, in dem eine Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam. Mit dem Augenblick aber, in dem sie als Propaganda, als Charakter, als Haltung im Hintergrund bleibt und nur durch Handlung, durch Ablauf, durch Vorgänge, durch Kontrastierung von Menschen in Erscheinung tritt, wird sie in jeder Hinsicht wirksam."[5] Nicht zuletzt durch eine stärkere Berücksichtigung solcher Erklärungen wurde der historischen Forschung zunehmend deutlich, dass es nicht vorrangig darum gehen kann, offenkundige Lügen oder Verfälschungen der NS-Propaganda zu entlarven, sondern dass vielmehr die weit anspruchsvollere Aufgabe im Mittelpunkt stehen muss, etwaige unterschwellige Botschaften in den NS-Medienprodukten zu analysieren. Im Zuge der entsprechenden Umorientierung wurde zudem klar, dass es bei einer Untersuchung von Propaganda nicht nur um den Inhalt expliziter Botschaften - wie etwa Rassenhass als Grundideologie oder Kriegsbegeisterung als Ziel von Propaganda - gehen kann und darf, sondern insbesondere auch um deren grundsätzliche Funktion im gesellschaftlichen Kommunikationsprozess. Erst durch die Berücksichtigung dieser und weiterer Untersuchungsparameter kann man sich einer Antwort auf die Frage annähern, ob Propaganda über kurzfristige Verhaltensmodellierung hinaus tatsächlich längerfristig und gegen tradierte Voreinstellungen wirksam werden konnte.[6]
Aktuelle Untersuchungen zu Medienwirkungen gehen in dieser Hinsicht davon aus, dass Medieninhalte weder eine hinreichende noch eine notwendige Ursache von direkten Effekten sind. Außerdem ist deren Einfluss im kognitiven Bereich als größer einzuschätzen als bei der Wirkung auf oder gar der nachhaltigen Veränderung von Einstellungen. Das heißt, dass Propaganda - wie an anderer Stelle bereits erwähnt - vor allem zwar Voreinstellungen verstärkt, zugleich aber auch in der Lage ist, latent angelegte Positionen zu aktivieren, während eindeutige Gegenpositionen nur in sehr beschränktem Maß veränderbar erscheinen. In diesen Prozessen angestrebter Meinungsmanipulation werden Medieninhalte seitens der Empfänger laufend dekodiert, wobei kulturellen und sozialen Bezugssystemen, Vorbildung, Geschlecht, Alter oder Vorerfahrungen eine große Rolle zukommt. Zum Erfolg der beabsichtigten Beeinflussung trägt naturgemäß zudem die Glaubwürdigkeit einen erheblichen Anteil bei, wobei sich die nicht nur - und zumindest bei Jugendlichen wohl auch nicht in erster Linie - aus den Medien selbst ableitet, sondern aus der interpersonalen Kommunikation, die nach neuen Erkenntnissen weitaus eher Veränderungen von Einstellungen bewirken kann als das einer reinen Massenkommunikation möglich wäre.[7] Auf diesen Aspekt wird mit Blick auf die jugendliche Zielgruppe von NS-Propaganda ausführlich zurückzukommen sein.
Für die historische Medienwirkungsforschung folgt aus dem bislang Dargelegten die Erkenntnis, dass selbst ungefähre Aussagen darüber, wie während des Dritten Reiches propagandistische Botschaften auf- und angenommen wurden, erst dann möglich sind, wenn es gelingt, die Bedingungen, unter denen deren Aneignung stattfand, so konkret wie eben möglich zu rekonstruieren. Um die „echte" Wirkung von Propaganda aufzudecken, gilt es somit zwingend zuvor die Vorprägungen der Rezipienten zu analysieren, um dann erklären zu können, wieso dieselbe Botschaft bei zwei Empfängern unterschiedliche Aneignungs- und Verarbeitungsprozesse zur Folge kann.[8]
Ein vielsagendes Beispiel bietet in diesem Kontext der Film „Jud Süß“. Entgegen der früheren „argumentativen Generallinie von der medialen Verführungsmacht des NS-Regimes“, so Daniel Mühlenfeld, sei es eben nicht der Film gewesen, der antisemitischen Stimmungen innerhalb der deutschen Gesellschaft zur weiteren Verbreitung verhalf, sondern sei vielmehr die bereits zuvor existierende antisemitische Grundhaltung einer Mehrheit der deutschen Gesellschaft, die solche Filme überhaupt erst möglich gemacht habe. Dadurch sei nämlich der „rezeptive Resonanzboden“ vorhanden gewesen, der einen solchen Film in den Augen seiner Produzenten - seien es staatliche Stellen oder private Finanziers - überhaupt erst zu einem kalkulierbaren unternehmerischen Risiko hätte werden lassen. „Jud Süß“ konnte demnach seine intendierte Wirkung nur deshalb entfalten, „weil der ausgewählte Zuschauerkreis bereits über eine hinreichende ideologische Vorprägung“ verfügte, um ihn sich dann auf deren Grundlage auf die gewünschte Weise anzueignen.
Aber auch solche schlüssig erscheinende Thesen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst näherungsweise Aussagen darüber, wie Menschen während der NS-Zeit die medial transportierten propagandistischen Botschaften auf- und angenommen haben, erst dann möglich sind, wenn es gelingt, die konkreten Rezeptionsbedingungen zu rekonstruieren, unter denen jene Medienaneignung stattfand.[9] Hierzu mangelt es jedoch nach wie vor an genügend geeigneten Quellen, so dass die Einschätzung, dass die NS-Propaganda bis in die Kriegsendphase hinein bemüht gewesen sei, Themen zu setzen, zwar unstreitig richtig ist, zugleich aber bislang weitgehend offen bleiben muss, was bei den Menschen davon tatsächlich Wirkung zeigte. Das lässt sich – wenn überhaupt – nur im jeweiligen konkreten Kontext untersuchen. Um dabei einer „echten“ manipulativen Wirkung von „Propaganda“ die Suche zu kommen, muss zudem immer die Frage nach der Vorprägung der Rezipienten gestellt werden, um Erklärungen dafür zu finden, wieso dieselbe Botschaft bei zwei Empfängern unterschiedliche Aneignungs- und Verarbeitungsprozesse zur Folge haben konnte.
Im Mittelpunkt der Forschungsbemühungen betreffend Kommunikation, Kultur und Medien im Nationalsozialismus, da ist sich Daniel Mühlenfeld sicher, dürften künftig vor allem Untersuchungen stehen, „die sich des zirkulären Charakters von Propaganda im Sinne eines Kommunikationsprozesses bewusst sind und sich jenseits der nur bedingt tauglichen Berichtsquellen neue Wege zur Rekonstruktion von Medienwirkung erschließen“
Fußnoten:
[2] Kellner, Hirne, Bd. 1, S. 16 und 21
[3] Vgl. Heidenreich/Neitzel, Medien, S. 7 und Zimmermann, Medien, S. 21. Vgl. dort auch zum Folgenden.
[4] So kommen beispielsweise Paul Mallmann und Gerhard Paul für das Saarland zu dem Ergebnis, dass die NS-Propaganda trotz aller gleichgeschalteten Medien und medialer Vernetzung „die deutsche Gesellschaft keineswegs gleichmäßig und total" beherrscht habe. Vgl. zusammenfassend Zimmermann, Medien, S. 20
[5] So formuliert Goebbels bei der ersten Jahrestagung der Reichsfilmkammer am 5. März 1937. Zitiert nach Zimmermann, Medien, S. 19.
[6] Vgl. Zimmermann, Medien, S. 22f.
[7] So Zimmermann, Medien, S. 27f. und 31
[8] Vgl. Mühlenfeld, Ende, S. 537ff. Dort auch das Folgende.
[9] So kommt etwa Thymian Bussemer zu dem Schluss, dass „die Rezipienten nationalsozialistischer Propaganda bei oberflächlicher Betrachtung zwar manipuliert wirkten, in Wahrheit aber aktiv selektiert hatten, welchen Teil des Propagandaangebots sie aufgreifen und populär machen wollten“ – und welchen eben nicht. Vgl. hierzu Barbian, Literaturpolitik, S. 16f.
Stand der Quelle 02.11.2024
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